„Nur eine halbe Diktatur“

Würzburg (DK) Über die ehemalige DDR wissen viele Schüler heute nur wenig Bescheid. Ein Verein in Würzburg will das ändern. Mitmachen kann jeder.

„In Deutschland wird mit dem Begriff Diktatur meist nur der Nationalsozialismus assoziiert“, sagt Tobias Pohl, „die DDR gilt vielen nur als halbe Diktatur“. Pohl ist Lehrer für Deutsch, Geschichte, Sozialkunde sowie Ethik in Würzburg, und weiß, dass die Grundlagen an bayerischen Schulen sehr wohl vermittelt werden, trotzdem blieben viele Wissenslücken. Nuancen fehlten, da der Lehrplan nicht mehr Zeit vorsehe. Hier soll der Verein „Aufarbeitung der Geschichte der DDR“ ansetzen, den er heuer im Juni mit 14 Gleichgesinnten gegründet hat. In Ostdeutschland gibt es bereits etliche solcher Vereine, im Westen sind sie dünn gesät. Um ein Drittel ist die Mitgliederzahl seit der Gründung bereits gewachsen, überwiegend durch Zeitzeugen, denen es ebenso am Herzen liegt, dass ihre Geschichte und die des Unrechtsstaates DDR nicht vergessen wird.

Wer weiß schon, dass die Todesstrafe in der DDR bis zuletzt legal war? „Honecker hat einige Urteile unterschrieben, ausgeführt wurden sie als ,unerwarteter Genickschuss’, wie es sonst nur in der Sowjetunion üblich war“, erzählt Pohl, „der Verurteilte musste durch einen dunklen Gang gehen und irgendwann stand ein Schütze mit Handfeuerwaffe hinter ihm“. Entwürdigend bis zur letzten Sekunde – und die Verwandten hätten nie erfahren, was passiert sei.

Buchenwald ist bekannt als KZ der Nazis, nicht aber als DDR-Lager, in dem missliebige Bürger interniert wurden. Mindestens 7000 starben wegen der unmenschlichen Bedingungen dort. Pohl erzählt weiter von offenen und geschlossenen Jugendwerkhöfen, wo die sogenannte „schwer erziehbare Jugend“, die sich nicht an DDR-Regeln hielt, gemaßregelt wurde. Er kennt zahlreiche Beispiele, die im kollektiven Gedächtnis der DDR zwar verankert waren, aber nicht thematisiert wurden. Drei Themenschwerpunkte setzt das Projekt Lehrerfortbildung des Vereins, und zwar das sozialistische Bildungssystem, die sozialistische Familie und die Jugendkultur, die es neben der offiziellen gab. Kino, Pop und die doppeldeutige Kunstszene wurden geduldet, waren aber nicht gern gesehen und standen unter Beobachtung.

Entstanden ist der Verein aus einem Wissenschaftspropädeutischen Seminar zum Thema DDR-Geschichte, das Pohl an seinem Gymnasium angeboten hat. Unterstützung erhält er unter anderem von der Bundesstiftung für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, vom Verein „Gegen Vergessen Für Demokratie“ sowie von parteinahen Stiftungen, die ihm Informationsmaterial stellen. „Sogar die Linke hat positiv reagiert“, erzählt er. Als Präsident des Vereins baut er nun eine Bibliothek in Würzburg auf, organisiert Vorträge und Lehrerfortbildungen. „Äußerst wertvoll sind Zeitzeugen, die mir Einblick in ihre Stasiunterlagen gewähren“, findet Pohl, der ein Zeitzeugennetz aufbauen will, um an möglichst viele Schulen bei Bedarf Zeitzeugen vermitteln zu können.

Dass ihm die Zeit davon läuft, ist ihm wohl bewusst. Der 33-Jährige hat die DDR selbst nur als Kind erlebt, aber dennoch vielen Mitbürgern etwas voraus – er wurde in Meißen geboren und noch zu DDR-Zeiten dort eingeschult. Repressalien hat er nicht unmittelbar erlebt, obgleich er in einer katholischen Familie groß wurde, die ihren Glauben praktizierte, sodass er am Dienstagmorgen zum Religionsunterricht in die Pfarrei ging statt in Kindergarten oder Schule. Er erinnert sich, dass er bei einer Halstuchverleihung der Jungpioniere fehlte. Denn seine Mutter ging stattdessen lieber mit mit Schuhe kaufen. Dass der siebenjährige Tobias deshalb degradiert wurde – er war damals stellvertretender Gruppenratsvorsitzender – bezog er auf sich selbst. „Ich dachte, ich hätte einen Fehler gemacht.“

Umso einschneidender erlebte er die Wende. Die nächtliche Diskussion der Eltern, ob sie zum Bahnhof gehen und auf einen fahrenden Zug aufspringen sollten, werde er nie vergessen.

Autor: Andrea Hammerl

Dieser Artikel ist am 07.11.2012 im Donaukurier erschienen

Quelle: http://www.donaukurier.de/nachrichten/bayern/Wuerzburg-Nur-eine-halbe-Diktatur;art155371,2678347

Im Schulhof ausgestellt: Trabis und der Mythos DDR

Frauenland (fei) Schülern die Geschichte der DDR näherzubringen, das hat sich Tobias Pohl zur Aufgabe gemacht. Am Samstag veranstaltete der Lehrer am Matthias- Grünewald- Gymnasium eine Veranstaltung unter dem Motto „Aufarbeitung des Mythos der DDR“. Für sine Aktion konnte er einige Zeitzeugen und Experten gewinnen. Die Expertenvorträge widmeten sich Themen wie der DDR- Wirtschaft oder „War die DDR ein Rechtsstaat?“ Auf dem Schulhof stellte die Trabant Interessengemeinschaft Unterfranken ihre Fahrzeuge aus: neun Trabis, einen Wartburg, fünf Anhänger, zwei Wohnwagen und ein Camptourist. Zitat eines Besuchers: „Es ist schon erstaunlihc, mit wie wenig Technik man bereits Autofahren kann.“

Der Artikel erschien am 07.05.2012 in der Mainpost

Ein Schulhof voller Trabis

Mythos DDR: Das Matthias- Grünewald- Gymnasium lädt am Samstag zur Aufarbeitung

„Die DDR war keine Diktatur, die Menschen mussten sich nur wie überall anpassen.“ Das Zitat stammt aus einer Studie über das Bild der DDR bei Schülern im Jahr 2008. Der Forschungsverbung SED- Staat der Freien Universität Berlin befragte damals mehr als 5200 Jugendliche in Bayern, Brandenburg, Nordrhein- Westfalen und Berlin. Fast die Hälfte der ostdeutschen und 66 Prozent der westdeutschen Schüler bejahrte diese Aussage.

„Es ist erschreckend, wie wenig viele Schüler über die Geschichte der DDR wissen“, sagte Tobias Pohl, Lehrer am Matthias- Grünewald- Gymnasium. Im Lehrplan existiere eine gewisse Schieflage: „In Sachen Rechtsextremismus leisten wir tolle Aufklärungsarbeit, der Linksextremismus wird aber oftmals stiefmütterlich behandelt.“

„Es ist erschreckend, wie wenig Schüler über die Geschichte der DDR wissen“

Tobias Pohl Organisator

Pohl, der selbst zehn Jahre seiner Kindheit in der DDR verbracht hat, will dieser Unwissenheit entgegenwirken. Unter dem Motto .Aufarbeitung des Mythos der DDR“ organisiert er am Samstag, 5. Mai, von 9 bis 16 Uhr eine Veranstaltung mit Vorträgen
und verschiedenen Ausstellungen rund um die Geschichte der DDR am Matthias-Grünewald-Gymnasium, Zwerchgraben 1. Kommen kann jeder, die Veranstaltung ist öffentlich.
„Ich leite in der elften Klasse ein Wissenschaftspropädeutisches Seminar zum Thema ‚DDR-Geschichte‘. In dessen Rahmen waren wir fünf Tage auf einer Klassenfahrt in Dresden und haben viele interessante Kontakte geknüpft“, erzählt Pohl. Dort entstand auch die Idee für die Veranstaltung, „Ich habe mit Zeitzeugen gesprochen, einige begannen
zu-weinen, als sie von damals erzählten. Ihre Geschichte darf nicht vergessen werden sagt Pohl.
Vier der Zeitzeugen konnte Pohl für seine Aktion gewinnen. Einer von ihnen ist Hartrnut Richter: Er hatte sich als Jugendlicher zunächst mit dem System der DDR arrangiert.
Er war Pionierleiter seiner Schule. Jedoch lehnte er den Spitzeldienst ab und weigerte sich in die FDJ einzutreten. VOn da an begann seine „kriminelle Karriere“. Er unternahm mehrere Fluchtversuche und wurde schließlich 1975 zu 15 Jahren Haft verurteilt.

„Die sozialistische Persönlichkeit wird erzogen oder „erprügelt“, diese Erfahrung machte Ralph Weber in einem Geschlossenen Jugendwerkhof. Diese Höfe waren spezielle Heime für Jugendliche, die als verhaltensgestört und schwer erziehbar angesehen werden.

„Neben den Zeitzeugenberichten halten Experten Vorträge zu verschiedenen Themen“, so Pohl. Erkannte man den Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit? Sah man es Ihnen an? Herlmut Müller- Envergs, Mitarbeiter der Bundesbehörde für Stasiunterlagen, versucht diese Strukturen aufzuhellen.

Was bedeuten die Unterlagen des MfS für die damals Verfolgten? Welche „Wahrheit“ erzählen Sie? Einen Einblick in den Umgang mit den Akten gibt Hildigund Neubert, von der Stasi- Behöre in Thüringen.

Als dritte Ebene werden im Matthias- Grünewald-Gymnasium verschiedene Ausstellungen zu sehen sein: „Zwanzig Jahre friedliche Revolution und Deutsche Einheit“ und „Die heile Welt der Diktatur“ – Ausstellungen der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Außerdem „Die gelenkte Frei-Zeit“, eine Ausstellung des Archiv Bürgerbewegung
Leipzig. Wie funktionieren Trabis, Wartburgs und Co.? Auf dem Schulhof stellt der Automobilclub ;,Trabant Interessengemeinschaft Unterfranken“ seine Fahrzeuge aus. Dort kann man sie einmal etwas genauer unter die Lupe nehmen. Tobias Pohl hat sich lange Gedanken gemacht, wie man Schülern und Studenten die Geschichte der DDR schmackhaft machen könnte. Momentan arbeitet er sogar an einer Vereinsgründung. Gemeinsam mit anderen Lehrern hat er das Bildungszentrum .Aufarbeitung der  Geschichte der DDR“ ins Leben gerufen. „Wir wollen gerade in den Westbundesländern
die Geschichte des SED-Staates besser aufarbeiten und haben tolle Partner gefunden“, sagt Pohl. Zum Abschluss wird Pohl am Samstag das Bildungszentrum und sein Konzept vorstellen.

Autor: Henriette von Feilitzsch

Dieser Artikel ist am 02.05.2012 in der Mainpost erschienen

Quelle: https://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/Aufarbeitung-des-Mythos-der-DDR-am-Gruenewald-Gymnasium;art735,6764165